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WIE SEHEN UNS DIE MEDIENMACHER?


Traege, dumm und ungebildet


Dass es ein Menschenrecht auf Bildung gibt, gilt in zivilisierten Gegenden weithin als unstrit-tig. Offenbar gibt es auch ein Menschenrecht auf Verblödung. Wie anders wäre zu erklären, dass in unseren Medien ein allgemein anerkannter und verlustreicher Kampf zwischen denen stattfindet, die den Rezipienten als bewußtlosen Ton- und Bildkonsumenten ansehen, und je-nen, die ihn als neugierigen Zuschauer und Hörer mit den ihm entsprechenden Angeboten ver-sehen wollen. Was also sind wir in den Augen der Macher? Willfährige, nach Einlullung süch-tige, kaum sprachfähige, allenfalls durch Tingeltangel, Tore und Tode am Einschlafen zu hin-dernde Schwammwesen? Oder vernunftbegabte Lernwillige, die in den Medien ein Angebot zur Kenntniserweiterung und daraus erwachsendem Selbst- und Weltbewußtsein sehen und Programme verlangen, die nicht nur die Sinne bedienen, sondern den Denkapparat in Bewe-gung setzen?
Der Einwand, wir seien weder das eine, noch das andere, sondern Mischwesen, ist mir ver-traut. Ebenso, dass es in den öffentlich-rechtlichen Sendehäusern Menschen gibt, die tapfer in ihren Programm-Nischen ihre Vorstellung von unterhaltender Bildung und bildender Unterhal-tung verteidigen, und zwar gegen mächtige Angriffs-Rhetoriker derselben Anstalten, die stets mit dem Argument antreten, der Hörer, der Zuschauer verstehe das nicht, könne so langen Sätzen nicht folgen, müsse nach so anstrengenden Beiträgen rasch entlastet werden und so fort. Es gibt in den Programmetagen eine durch nichts verifizierte Mutmaßung vom Durch-schnitts-Rezipienten, die eine schlichte Beleidigung für einen erwachsenen und einigermaßen vernünftigen Menschen ist. Leider sind die, die so von uns denken, häufig in Leitungspositio-nen zu finden und haben darum eine gewisse Gestaltungsmacht.
Neben dem Generalverdacht vom denkfaulen Konsumenten ist es die Quote, die zu der inzwi-schen allenthalben (nicht nur in den Medien) zu beobachteten Konkurrenz ums niedrigste Ni-veau führt. Die Einschaltquote, einst die heilige Kuh der Privaten, ist längst auch für ARD und ZDF zum bevorzugten Maßstab für die Qualität einer Sendung geworden. Die Statistiken sind natürlich unqualifiziert, man weiß nicht, was für Leute hinter den Ziffern stecken, vielleicht ja hinter einer niedrigen Quote nicht eben die Dümmsten im Lande, vielleicht hinter einer hohen nicht die Klügsten – und schon gar nicht weiß man durch blanke Prozente, ob die, die sich in der Summe verbergen, ihrerseits tutorische Multiplikatoren, also Erzieher, Eltern, Lehrer sind.
Die unqualifizierte Quote führt als nachträgliches Argument, wie auch als vorauseilender, nicht selten zensurierender Anspruch, fast immer zu unqualifizierten Programmen. Das ist noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist ihre Wirkung auf die Programm-Macher selbst.
Die Erbsenzählerei hat längst die Oberhoheit in den Redaktionen übernommen. Und wer sich dagegen wehrt – das tut in ARD und ZDF immerhin noch ein Fähnlein der Aufrechten – hat in den Konferenzen einen schweren Stand, weil sich ein Programm mit niedriger Quote stets ver-teidigen muß, eines mit hoher jedoch nie daraufhin befragt wird, wodurch sie erzielt wurde. Könnte ja sein, dass die höchste Zahl mit dem niedrigsten Niveau korreliert.
Der verderbliche Effekt der Quote ist die Zerstörung der Programmverantwortung. An ihre Stelle tritt die Rechtfertigung durch Statistik, hinter der sich der Medienmacher, so er will, aus jeglicher Verantwortung stehlen kann. Seit Beginn des freien Rundfunks nach 1945 gestalteten Redakteure und Redakteurinnen nach ihren Vorstellungen und Fähigkeiten Programme, die in-tern und in kritischen Diskursen von außen auf ihre Qualität hin befragt wurden – nicht aber gemessen wurden nach der Zahl der eingeschalteten Rundfunkgeräte, auch wenn man sich eine möglichst große Hörerzahl wünschte. Zum Beispiel definierte Gerhard Szczesny 1957 das geisteswissenschaftlich und naturwissenschaftlich orientierte Sonderprogramm des Bayeri-schen Rundfunks ausdrücklich nicht als Minderheitenprogramm: "Die Nachtprogramme waren eine Notlösung. Die späte Sendezeit allein hat den großen Teil der potentiellen Hörerschaft anspruchsvoller Darbietungen von vornherein von der Teilnahme ausgeschlossen. Die Nacht-programme und Nachtstudios haben daher die große Chance des Rundfunks, auf breitester Ba-sis Bildung zu vermitteln, nur ganz unzulänglich erfüllen können. Eben dies soll nun die Auf-gabe unseres Sonderprogramms sein. So wie es geplant und vorbereitet ist und mit dem heuti-gen Tag anläuft, ist es kein auf wöchentlich 10 ½ Stunden ausgedehntes Exklusivprogramm für einige Wenige, sondern ein abendliches Programm für alle Hörer, die gerade jetzt das Bedürfnis haben, nicht zerstreut, sondern angeregt zu werden."
Anspruchsvolle Darbietung, anregen statt zerstreuen – das sind Grundsätze, die heute Karrie-ren kosten können. Wie gesagt, ich spreche hier nicht von den privaten Radioklitschen, in de-nen jeder Hampelmann ans Mikrophon gelassen wird; nicht von den privaten Fernsehanstal-ten, in deren nachmittäglichen und frühabendlichen Talkshows Kannibalismus auf Quote schielt und reihenweise Menschen vorgeführt, abgelutscht und weggeworfen werden; ich spre-che von einem der besten Rundfunksysteme der Welt, dem öffentlich-rechtlich verfaßten Rundfunk in Deutschland, der nur darum den Anspruch auf die Zwangsfinanzierung durch Gebühren erheben kann, weil er eben nicht auf die Quote angewiesen sein soll; und dessen in Staatsverträgen niedergelegte Selbstverpflichtungen grosso modo auf die Formel gebracht wer-den können: Neugier statt Voyeurismus. Die Grundsätze zielen auf die Vermittlung und Beför-derung eines humanistischen Menschenbildes.
Was galt als erstrebenswert? Der langjährige und seinerzeit über Bayern hinaus für seine ge-schliffenen Sprache bekannte Hörfunkdirektor des BR, Walter von Cube, behauptete schlicht: „Klugheit und Güte, Freiheit und Mut sind die schönsten Titel, die der Mensch zu vergeben hat.“ Junge Redakteure, die heute mit einem solchen Programm anträten – gesetzt, die Begriffe fielen ihnen ein – würden allenfalls homerisches Gelächter auslösen. Die Medien werden im-mer mehr zum Spiegelbild jener Gesellschaft, der sie den Spiegel vorhalten sollten. Die persön-liche Voraussetzung, in ihnen arbeiten zu können, lautet gleichfalls nicht mehr so, wie von Cu-be sie für sich 1951 definiert hatte: „Ich bringe nichts anderes mit als jene Unabhängigkeit und geistige Freiheit, deren Besitz gewöhnlich die Wirksamkeit eines Menschen im politischen Le-ben Deutschlands so unerwünscht macht wie nur möglich.“

Erwünscht ist, was gefällt. In einer Gesellschaft wie der unseren, die von geistiger Bequem-lichkeit und einer lebensgefährlichen Lernfaulheit geprägt ist, hätten die Medien aber längst ei-ne ganz andere Aufgabe zu übernehmen: nämlich, dafür zu sorgen, dass die so genannte Bil-dungskatastrophe – die kein Verhängnis, sondern ein selbstverursachter Crash ist – aus dem Beklagungsstadium in Ursachenerkenntnis und Bewältigung gelenkt wird.
Bildung ist die Verwandlung von Wissen in Bewußtsein. Es geht ihr nicht um die Konditionie-rung junger Menschen und ihre Zurichtung für eine möglichst gleitende Eingliederung in den Berufsmarkt; es geht ihr nicht darum, ihnen Naturwissenschaften und Mathematik mit einem hohen output für marktkonforme Verwertung einzubläuen – auch wenn all diese Kenntnisse nicht schaden. Es geht ihr darum, ihnen die Möglichkeiten anhand zu geben, ihre Kritikfähig-keit (also Entscheidungsfähigkeit) und Phantasie zu entdecken, zu trainieren und anzuwenden. Es geht darum, sie von der Illusion zu befreien, kindische Unmündigkeit genüge in der infanti-len Gesellschaft, um ein würdiges und vielleicht sogar gelungenes Leben zu gestalten. Die nöti-gen Voraussetzungen sind nur auf den geisteswissenschaftlichen und ästhetischen Gebieten zu erfahren und zu erlernen. Für die eigentlichen Probleme unseres Lebens, die auf jeden zukom-men, die Fragen des Umgangs miteinander, die Augenblicke von Verlust und Angst, die Wahl unserer Perspektiven, kann man nun einmal aus Physik, Chemie, Biologie allenfalls im meta-phorischen Sinne etwas lernen. Es ist kein Luxus, sondern elementar, überlebensnotwendig, Existenzfragen in Religion zu erörtern, unseren Blick an der Kunst zu schulen; das Gehör in der Musik für Harmonie und Disharmonie; unsere Sprache an ihrer Vielfalt in der Literatur; und dort auch unser Wissen von all den Wechselfällen des Lebens zu erwerben, die in der Lite-ratur aufgehoben sind; es ist von entscheidender Bedeutung für den Bestand der Demokratie, dass ihre jungen Bürger gründliche Geschichtskenntnisse auf die eigene Zeitbetrachtung über-setzen, dass sie Phantasie für die Veränderung von mangelhaften Zuständen haben, dass sie geistig fundierte Kritik üben, dass sie, mit einem Wort, gebildet und mündig sein können. Un-gebildete Mehrheiten führen in der Demokratie zu ungebildeten Regierungen, und die können – wie derzeit zu beobachten – die Welt gefährden.

Zwischenbemerkung
Die Einwände, meist von links vorgebracht, bedenke ich gern: Schließlich habe das Bildungs-bürgertum den Nationalsozialismus nicht verhindert! Hölderlin sei Hitler unterlegen, der Hu-manismus habe seine Schwäche bewiesen... Nun: mit der Bildung war es in breiten Schichten der Bevölkerung 1933 nicht weit her. Dass Hitler über Hölderlin gesiegt hat, lag nicht an Höl-derlin, sondern an denen, die Hitler beim Siegen geholfen haben. Schließlich: der Humanismus ist keine Garantie für richtiges Verhalten – man muß sich schon nach wie vor selbst entschei-den. Folglich hat nicht der Humanismus die Deutschen im Stich gelassen, sondern die Deut-schen ihn. Deren entsetzliches Versagen läßt sich nicht apologetisch aufs Abendland zurück-übertragen...

Den jungen Menschen all das an geistigen und ästhetischen Möglichkeiten vorzuenthalten, was sie erst instand setzt, ihre Existenz einst weitgehend selbst zu bestimmen, das ist, als würde man ihnen, bevor sie ins Leben gehen, ein Bein amputieren. Für den Arbeitsmarkt sind sie auch auf einem Bein tauglich, es gibt ja die Krücke Computer.
Nach den Pisa-Studien hat vielleicht ein Umdenken eingesetzt. Möglicherweise in die falsche Richtung. Wenn die richtigen Schlüsse gezogen werden, kommen auch wieder Studenten an die Universitäten, die Bücher lesen und einigermaßen korrekt deutsch schreiben können, und in die Betriebe Lehrlinge, die die Schrift und vielleicht sogar den Dreisatz beherrschen. Noch sind die Klagen über den Bildungszustand der jungen Leute, ganz gleich, wo man hinhört, unvermindert laut. Und das liegt natürlich nicht daran, dass die jungen Generationen nicht intelligent genug wären. Es liegt an dem Unwert, der gegenwärtig der Bildung beigemessen wird. Das zu ändern, kann die Schule allein nicht leisten.

Die Medien hätten hier ein weites Feld. Ich will nicht verkennen, dass vor allem das Radio die-se Aufgabe entdeckt hat und wahrnimmt. Und tatsächlich weisen einige Parameter darauf hin, dass auch mehr und mehr junge Hörer gute, gründlich und interessant gemachte Wortprogram-me annehmen. Leider ist festzustellen, dass sich in den Ansagen und Sendungen – ähnlich wie in politischen Reden – eine erschreckende, gleichwohl kaum überraschende Textunsicherheit ausbreitet: grammatikalische Fehler, falsche Komparative, gehäuft absurde Superlative, falsche Bezüge, idiomatische Verwechslungen, falsche Aussprachen und so fort. Früher gab es an den Rundfunkanstalten Sprachpfleger, deren Aufgabe es war, das Programm des eigenen Senders auf solche Schwächen hin abzuhören und den Redaktionen einmal wöchentlich die Leviten zu lesen. Selbsterziehung. Nun ja. Temps perdu.
Einer Umfrage der Programmzeitschrift Hör Zu war kürzlich zu entnehmen, dass eine Mehr-heit das Fernsehen für unüberschaubar und dumm hält. Will diese Quote am Ende Anregung statt Zerstreuung? Haben die Befragten entdeckt, dass in der Zeitvertreibkultur ihre eigene, unvermehrbare Lebenszeit vertrieben wird? Lassen wir uns nicht entmutigen. Irgendwann ent-deckt auch die nachlässigste Gesellschaft, dass geistige Leere schmerzhaft sein kann, und be-ginnt sich, die Wunden zu lecken.



 
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