WILLKOMMEN
BIOGRAPHIE
PROSA
THEATERSTÜCKE FILME
LYRIK
ÜBERSETZUNGEN
HÖRBÜCHER
REDEN UND ESSAYS
Geben Sie Gedankenfreiheit!
Die vertriebene Zeit
Spitzenversager
Wir sind Kultur
Das Vergebliche tun
KONTAKT & AUSKUNFT
IMPRESSUM
 


SPITZENVERSAGER
Die Zerstörung der Demokratie von oben

 
von Gert Heidenreich    

Es soll eine Zeit im Land gegeben haben, da waren Banker noch Bankiers, hatten ein durchaus inniges Verhältnis zum Geld, dennoch das Bedürfnis, sich als charakterliche Elite zu definieren und waren gebildet genug, Brechts Invektive zu belächeln, ein Bankraub sei eine Lappalie, verglichen mit der Gründung einer Bank. Heute wissen wir, dass die Gründung einer Bank ein Kavaliersdelikt ist, verglichen mit der Insolvenz einer Bank. Es soll eine Zeit im Lande gegeben haben, da waren gewählte Politiker noch Mann und Frau genug, den gröbsten Zumutungen des Marktes zuweilen entgegenzutreten, mit geschliffenen Reden, ab und an mit geschliffenen Instrumenten. Wer versagte, schämte sich. Lange her.

Nun haben wir andere Verhältnisse: Schamlosigkeit geriert sich als Vorbild. Geldlüstlinge kriegen den Hals nicht voll, der Hochmut der Spitzenversager spreizt sich frech, eine groteske Polonaise zieht an uns vorüber, die Porsche-VW-Gockel mit Pfauenfedern besteckt, Ackermann bübisch geplustert, der fahle Dunkelmann Zumwinkel, die Tränenmeisterin Maria-Elisabeth Schaeffler Hand in Hand mit Madeleine Schickedanz im schicken Bettlerlook, dahinter die Haider-Speichellecker von der Bayerischen Landesbank und die Steuerräuber, die ihre Profite in Ali Babas Schweizer Schatzhöhlen gebunkert haben: Das ist des Staates Elite? Und wir, das Volk, stehen, in einem unvorstellbaren Maß von betrügerischen Spekulanten beraubt, vor dem anrüchigen Spektakel und hoffen auf jene, die wir in die Macht gewählt haben: in die Macht, unsere Rechte zu schützen, unsere Interessen zu vertreten. Man kann angesichts solch naiver Erwartung das sardonische Gelächter durch die Bankbasare des Westens hallen hören, wo die Immobilien Amerikas noch verlogener unter die Leute gebracht wurden, als man es je, zurecht oder nicht, einem Teppichhändler in Basra unterstellte. Selbstverständlich gibt es Empörung: Die Kanzlerin ein Trotzköpfchen als Jeanne d’Arc, der Präsident ein Messknabe als Möchtegern-Moses, doch das Goldene Kalb steht weiter in der Börse, die Hasardeure kassieren ungeniert bereits wieder Boni, und wir sind das Volk, das getäuschte.

Die Handlungsschwäche der Politik hat Gründe: Die Geldhändler wussten genau, dass ihr Geschäft im Großen so läuft wie das mit Bankkunden im Kleinen. Hast du Zehntausend Schulden bei der Bank, sperrt sie dir die Überziehung, hast du zehn Millionen, bittet der Chef zum Espresso. Die Banker mussten mit unserem Geld nur hoch genug zocken, um beim Zusammenbruch ihrer Spekulation die Weltwirtschaft in Gefahr zu bringen. Sie jonglierten ohne Risiko: Sie hatten ja den Staat (uns). Wir mussten sie retten, um uns zu retten. Wir (der Staat) hatten keine Wahl, als die gigantischen Schulden zu bezahlen. Dafür leiht der Staat sich Geld. Wo? Auf dem Geldmarkt. Und bezahlt Zinsen dafür. Was heißt: Der selbe Markt, dessen Spitzenversager wir retten müssen, damit nicht die ganze Wirtschaft zugrunde geht, leiht uns das Geld, mit dem er sich retten lässt, und kassiert dafür Zinsen. Gibt es ein besseres Geschäft? Dass in dieser Oberwelt-Unterwelt auch Politiker mitspekuliert, mitgemischt, mitgelechzt haben, macht die Sache vollends zu einer Parade der Charakterlosigkeit.

Nun könnte man das alles unter der Rubrik „pecunia olet“ abheften, ginge es nicht um sehr viel mehr als Geld. Aus dem Blickwinkel junger Bürger, die einmal den Bestand  der Demokratie und ihre Entwicklung in unserem Land verantworten sollen, ist die pekuniäre und sittliche Deformation des Staates ein Zeichen der Schwäche des Systems. Und damit haben sie recht. Denn die Stärke der Demokratie hängt ab von ihrer Glaubwürdigkeit, und ihre Schwäche wird von obszönen Gierhälsen und Lügnern verursacht. Als unter Roland Kochs Verantwortung schwarze Parteikassen wahrheitswidrig als „jüdische Vermächtnisse“ ausgegeben wurden, in der Hoffnung, die Staatsanwaltschaft werde im Schatten des Holocaust nicht nachforschen; als Helmut Kohl sein privates Ehrenwort über seinen dem Volk gegeben Eid stellte, waren dies Entehrungen der Demokratie. Um die eigene Amoralität zu camouflieren, wird anschließend Besorgnis über die „Politikverdrossenheit“ der Bürger geheuchelt.

Jetzt fiel eine letzte Illusion. Der Markt als Instrument und Garant der Freiheit hat sich als verblendet, inkompetent und erpresserisch erwiesen. So vollendet sich die Zerstörung der Demokratie von oben. Politik ist als rechtlos, hilflos und illoyal gegenüber den Bürgern gebrandmarkt. Da hilft es auch nicht, sich mit Datendieben gemein zu machen, um jene höchstverdienenden Kriminellen zu jagen, die ihr Geld am Fiskus vorbei bei ihren eidgenössischen Banker-Kumpanen gebunkert haben. Die Berliner Empörungs-Attitüde gegen „Steuersünder“ (schon das Wort Sünder zeigt, dass der Beichte die Vergebung folgen wird) hat einen deutlichen Hautgout: Nur wenn die Regierung Geld will, argumentiert sie mit Gerechtigkeit. Ansonsten lässt sie sich darüber vom Verfassungsgericht belehren – oder von ihrem Vizekanzler und Außenminister, der auf seinem Kreuzzug für die Verdienenden vor lauter geiferndem Eifer spätrömische Völlerei und Sozialismus nicht mehr auseinanderhalten kann.

Wie sollen eigentlich die jungen Bürger unserer Republik sich für einen solchen Staat engagieren? Einen Staat, in dem Parteien-Korruption seit Jahrzehnten immer wieder für Skandale sorgt; in dem Spitzenverdiener durch ihr Verhalten eine Neiddiskussion provozieren, die sie anschließend öffentlich beklagen; in dem Spitzenversager mit Abfindungen entlassen werden, die ein arbeitsamer Mensch sein ganzes Leben nicht zusammenverdienen kann – während Arbeitslose in den Generalverdacht der Faulheit gestellt werden? Wie sollen sie einem Staat vertrauen, in dem Banker als Spekulanten und Politiker als Lakaien der Banker auftreten? Wo sollen sie Vorbilder und Werte finden, die Erfolg, Lohn und Würde noch miteinander vereinbaren? Wie sollen Lehrer und Eltern in solcher Lage noch von Aufrichtigkeit, Offenheit, Moral, Anstand und Barmherzigkeit sprechen, ohne sich lächerlich zu machen? Vielleicht hat dieses Land ja die Erziehung seiner Jugend zu achtbaren Demokraten längst aufgegeben. Wenn nicht, wird es höchste Zeit, Abschied von der Schamlosigkeit zu nehmen.  

 
Top